Entschleunigt auf Schienen: Mit der Bahn durch Kanada
„Von Toronto nach Vancouver mit dem Zug? Das dauert doch viel zu lange, wieso nehmt ihr nicht das Flugzeug?“ Natürlich ist es mit dem Flugzeug schneller. Doch wir wollen uns bewusst Zeit lassen und am Fensterplatz durch Kanada reisen. Mit einem Cocktail in der Hand den Rocky Mountains zuprosten, hautnah an Bären vorbeirauschen und beim Anblick von Winnipegs futuristischer Architektur frühstücken. Das alles hätten wir sonst verpasst. Wäre doch schade gewesen.
Leergefegte Bahnsteige und von Hektik keine Spur: Torontos Bahnhof Union Station gleicht einem Geisterbahnhof. Um 21.30 Uhr ertönt der Aufruf, sich an Bord von Zug Nr. 1 zu begeben. Gemächlich schlendern die Passagiere vom Wartesaal zum Zug. Die Koffer sind längst eingecheckt, im Handgepäck befindet sich alles, was in den nächsten Tagen benötigt wird. Dort vorne stehen sie, glänzen silbern im fahlen Lichtschein der Gleis 16 erhellt. Der Anblick der gewellten Silberbüchsen die dem Flugzeugrumpf der „Tante JU“ ähneln löst Herzklopfen aus.
Der „Canadian ist die pure Lust am Reisen“
Wer mit dem „Canadian“ reist, besteigt keinen Zug, sondern eine Legende, die Kanada von Ost bis West verbindet. Der „Canadian“ verkehrt seit den Fünfziger-Jahren zwischen Toronto und Vancouver in originalen Waggons von damals. Der „Canadian“ ist eben viel mehr als ein Fortbewegungsmittel, er ist die pure Lust am Reisen. Das Unterwegssein ist wichtiger als das Ankommen.
Freundliche Zugbegleiter begrüßen die Gäste und weisen die gebuchten Abteile zu: Einzelkabinen, Doppelkabinen und Luxus-Suiten mit Badezimmer, die einem 5-Sterne-Hotelzimmer entsprechen. Punkt 22 Uhr setzt sich Zug Nr. 1 mit einem leichten Ruck in Bewegung. Zwei Dieselloks, 23 Waggons, 200 Passagiere und 29 Via-Rail Mitarbeiter starten zu ihrer Reise nach Vancouver. 4.466 Kilometer durch vier Zeitzonen und fünf Provinzen. Drei Tage und vier Nächte fährt der „Canadian“ durch endlose Wälder, Prärien, Berge bis er die Westküste und Vancouver erreicht.
Die Karawane aus Stahlt rattert hinein in die Wildnis
Das Lichtermeer Torontos verschwindet in der Dunkelheit, im Lounge-Wagen schenken Zugbegleiter den Begrüßungs-Cocktail aus. Der „Canadian“ rollt wie losgelöst vom Rest der Welt durch die sternklare Nacht. Aus dem gläsernen Dach des Dome-Waggon sind Umrisse von Wäldern zu sehen, darüber scheint der Mond mit sanftem Licht. Die Karawane aus Stahl rattert geradeaus in die Wildnis, wie eine Raumkapsel auf einer einsamen Umlaufbahn.
Im Bett durch Kanada reisen, wie herrlich ist das denn! Einfach daliegen und nichts tun während die Landschaft am Fenster vorbeizieht. Im sanften Schaukeln des Zuges dösen und sich im Speisewagen von den netten Servicebediensteten die ausgezeichneten 4-Gänge-Menüs servieren lassen. Und das Beste: Keinen Gedanken daran verschwenden, ob der Anschlusszug erreicht wird. Völlig entspannt mit der Bahn reisen ist eine völlig neue Erfahrung. Für Unterhaltung ist ebenfalls gesorgt: Weinproben, Filmnachmittage und Musikveranstaltungen. Die mitgebrachten Bücher liegen ungeöffnet in der Tasche. Gespräche mit anderen Reisenden und das „Aus-dem-Fenster-Schauen“ sind spannender als jede Lektüre. Während Frühstück, Lunch und Dinner wandelt sich der Speisewagen zu einem gemütlichen Wohnzimmer, in dem man beieinandersitzt und plaudert wie bei guten Freunden zu Hause.
Und da sind die vielen Stopps entlang der Strecke. Wären wir je im Leben einmal nach Hornepayne gekommen wenn nicht der „Canadian“ dort einen Versorgungshalt einlegen würde? Wie aus einer längst vergangenen Zeit entsprungen wirkt das Dorf, das als einzige Attraktion einen General Store vorzuweisen hat.
Frühstück in Winnipeg
Am nächsten Morgen rückt die futuristische Skyline von Manitobas Provinzhauptstadt Winnipeg mit dem Museum of Human Rights ins Blickfeld, während der Service Eggs Benedict serviert. Vier Stunden Aufenthalt, Schichtwechsel des Personals, wer mag, nimmt an einer geführten Citytour teil oder erkundet die vielen kleinen Shops, Cafés und Feinkoststände in „The Forks“.
Endlose Prärie in Saskatchewan mit einem Himmel, der bis zur Erde reicht. Halt in Melville, dessen Bahnhof seit 1992 kulturhistorisches Denkmal ist. Je weiter der Zug westwärts fährt, desto bockiger ruckeln die Waggons. Die Zugbegleiter warnen vor dem ruppigen Terrain in Alberta. Tatsächlich sei jemand nachts aus dem Bett gefallen, erzählen Servicebedienstete.
Ein Prosit auf die Rocky Mountains
Dann endlich sehen wir sie: zwischen den Wolken erheben sich schneebedeckte Berge. Im Lounge-Waggon heben wir die Gläser auf die Rocky Mountains. Schroffe Berge, Wasserfälle, Flüsse, der Dome-Wagen ist bis auf den letzten Platz besetzt, die Kulisse ist berauschend und dort, direkt neben der Schiene, sitzt tatsächlich ein Bär. Die Zugbegleiter künden ein Highlight nach dem anderen an: der Mount Robson, mit 3.954 Meter höchster Berg der Rocky Mountains, dann der imposante Pyramid Wasserfall. Kameras klicken pausenlos.
Als der Zug British Columbia und die letzte Zeitzone der Reise erreicht, macht sich Abschiedsstimmung breit. Denn mit einem Mal wird allen Passagieren bewusst: Die Reise, die Fremde zu Freunden machte, geht zu Ende. Als der Zug in der Pacific Central Station in Vancouver hält, hat es auch niemand eilig mit dem Aussteigen.
Informationen zur Bahnreise mit dem „Canadian.“
Weitere Zugabenteuer in Kanada
Der Panoramazug fährt auf vier Strecken von Vancouver durch den Westen Kanadas und erschließt auf den unterschiedlichen Routen die Rocky Mountains bis über Whistler bis Jasper und über Kamloops bis Lake Louise und Banff.
Wie der Name vermuten lässt führt die Reise in den Norden. Der Polar Bear Express führt von Cochrane durch die endlosen Wälder und Seenlandschaft von Ontarios Norden in fünf Stunden nach Moosonee und Moose Factory. Die abgelegenen Dörfer sind nur per Zug oder Flugzeug erreichbar.
Am spektakulärsten ist die eintägige Bahnreise während des Indian Summers. Die Strecke führt von Sault St. Marie in den Norden durch die atemberaubende Naturlandschaft des Canadian Shields das zu den kulturhistorischen Gebieten der einheimischen Ojibway First Nation zählt.
Die Bahnlinie wurde 1898 während des Klondike Goldrauschs gebaut. Sie führt direkt am Gebirgspass entlang des historischen Klondike-Trails über haarsträubende Schluchten, Brücken und Tunnel mit fantastischen Ausblicken auf Berge, Gletscher und Wasserfälle. Es gibt unterschiedliche Tickets – z.B. One-Way Combo mit dem Bus von Whitehorse nach Fraser, BC, wo die Bahnfahrt startet. Sie endet in Skagway, Alaska mit der Möglichkeit die Stadt zu besichtigen, anschließend geht es mit dem Bus zurück nach Whitehorse.